Linien, Äste, Zweige

Die Familie Thun konnte im Laufe der Jahrhunderte nicht nur ihr Prestige sowie ihre Macht ausbauen, was die Entwicklung zu einem der angesehensten österreichischen Adelsgeschlechter begünstigte und förderte, sondern es gelang ihr auch, den Familienbesitz, sei es durch geschickte Heiratspolitik oder mittels wichtiger Belehnungen, stets zu erweitern und zu vergrößern. So fielen ab dem 14. Jahrhundert Castel Bragher [1] mit seinen Ländereien sowie die Güter der erloschenen Altaguarda [2] in den Besitz der Thun. 1464 wurde das Erbe der Caldes [3] (Castel Caldes, die Rocca di Samoclevo, eine Hälfte von Castel Cagnò, Castel Mocenigo, Castel Rumo, Castel S. Ippolito) mittels Schenkungsurkunde des Pretel III. [4] an die von Thun überschrieben. Auch die Gerichtsbarkeit über Castelfondo, das seit 1471 zum Pfandlehen [5] der Thun zählte, sowie bischöfliche Gerichtsbarkeiten (Masi di Vigo, Tuenetto und Rabbi) kamen nun endgültig zum Thun’schen Besitz. Im 15. Jahrhundert teilten sich die Thun die Pflege der Burg Königsberg [6] mit anderen Adelsfamilien und konnten diese 1509 schlussendlich für sich beanspruchen. [7]

Lange Zeit gelang es den Thun, ihren Familienbesitz als Einheit zusammenzuhalten, jedoch existierten im 13. Jahrhundert erstmals zwei Linien parallel nebeneinander. Die Söhne Heinrichs von Thun wurden zu Stiftern einer „echten“ und einer „unechten Linie“ [8] des Hauses Thun.

 

 

Die Söhne Warimberts II. , Belvesinus und Berthold II. begründeten je einen Ast, die jedoch Mitte des 15. Jahrhunderts aufgrund fehlender Nachkommen erloschen. Einzig durch Warimberts II. Sohn Simeon II. , der Vater von sechs Kindern war, blieb die Familie Thun vor dem Aussterben verschont, die Geschlechterfolge wurde fortgesetzt und es gab eine gesetzte Ahnenreihe, die sich über Sigismund und Jakob bis hinauf zu Anton II. Maria von Thun , genannt „Potens“, erstreckte. [9]

Im 16. Jahrhundert entschlossen sich die Söhne [10] Anton II. den Besitz der Familie untereinander aufzuteilen. In seiner Eigenschaft als Senior Familiae nahm Sigmund Mitte des 16. Jahrhunderts eine Aufteilung der Güter in drei Teile vor. Dieser Aufteilungsprozess des Familienbesitzes erwies sich als langwierig und schwierig. Erst aus der Urkunde vom 9. April 1596 [11], die mit den Unterschriften von Philipp von Thun , Sigmund von Thun , Herkules von Thun und Johann Arbogast von Thun versehen wurde, geht das Nebeneinader der drei Linien Castel Thun, Castel Caldes und Castel Bragher definitiv hervor.

 

Die Unterschriften der Linienvertreter

 

Demnach sah die Linienstruktur der Thun wie folgt aus:

 

 

Nach dem Tod Sigmunds [12], der bereits seinem Vater Johann Cyprian nachfolgte, teilte sich die letztgenannte Linie unter dessen Söhnen erneut:

 

Johann Cyprian erhielt Castelfondo, welches er alsbald verließ, um in Böhmen den böhmischen Ast zu begründen. Somit wurde Castelfondo an dessen Großneffe vierten Grades, Josef Innozenz , weitergegeben. Sigmunds zweiter Sohn Georg Sigmund , der gleichzeitig als Begründer des Südtiroler Astes gilt, bekam Castel Bragher. Der dritte Sohn, Christoph Simon , erbte kein Schloss, wurde allerdings 1628 mit der Grafschaft Hohenstein belehnt und erhielt zudem den dazugehörigen Adelstitel, welcher ab 1629 auf alle Familienmitglieder der Thun übertragen wurde. [13]

Somit gab es seit dem Jahr 1629 und der Verleihung des Reichsgrafentitels zwei gräfliche Linien der Familie (seit 1629) Thun-Hohenstein in Südtirol sowie eine in Böhmen. Die Linie Castel Caldes ist jedoch nach 37 Jahren im Jahr 1633 wieder erloschen, da es keine männlichen Erben mehr gab.

Zudem kam es unter der Nachkommenschaft der Familie Thun-Hohenstein der Linie Castel Bragher zu weiteren Verzweigungen, sowohl in Südtirol:

 

 

als auch in Böhmen:

 

 

Seit der Verleihung des Fürstentitels an Franz de Paula Josef Friedrich am 19. Juli 1911 durch Kaiser Franz Joseph I. existiert neben dem gräflichen Haus zudem das fürstliche Haus.

Heute ist die Familie folgendermaßen aufgeteilt:

Überblick und Zusammenfassung der Stammeslinien mit den Gründervätern sowie den heutigen Vertretern:

Linie Begründer Ein heutiger Vertreter
Castel Thun Lukas Thun Matthäus Thun-Hohenstein
Castel Bragher (Johann) Cyprian  
böhmischer Ast Johann Cyprian  
1. Zweig: Klösterle Franz Josef Johann Ferdinand Thun-Hohenstein
2. Zweig: Tetschen Wenzel Josef  
1. (gräfliches) Haus Franz de Paula Philipp Georg Thun-Hohenstein
2. (fürstliches) Haus Franz de Paula Josef Friedrich Thomas Thun-Hohenstein
3. Zweig: Choltitz Johann Nepomuk Josef Adalbert  
1. Haus Theodor Karl Johann Nepomuk Nikolaus Maximilian  
2. Haus Franz Josef Johann Nikolaus Innozenz Peter Constantin Thun-Hohenstein
4. Zweig: Ronsperg-Benatek Anton de Paula Josef Adalbert Romedius Thun-Hohenstein
südtiroler Ast Georg Sigmund  
1. Zweig: Castelfondo Josef Innozenz Ulrich Thun-Hohenstein
2. Zweig: Castel Bragher Arbogast Amadeus Pius Georg Thun-Hohenstein-Welsperg
3. Zweig: 2. Caldes Georg Vigil erloschen 1748
4. Zweig: letzte Caldes Christoph Anton Simon erloschen 1850
5. Zweig: Croviana Karl Cyprian erloschen 1743
Castel Caldes Jakob erloschen 1633
(illegitim) THUN-PHILIPPIN Simeon I. erloschen am Ende des 18. Jahrhunderts

[DL]

 

Bibliographie

Ausserer, Carl Der Adel des Nonsberges. Mit 72 Abbildungen von Schlössern, Wappen und Siegeln. In: Jahrbuch der k.k. heraldischen Gesellschaft Adler, H. 9, Wien 1899, S. 13–241.

Genealogisches Handbuch der gräflichen Häuser, Glücksburg 1955, S.443-469.

Genealogisches Taschenbuch der deutschen gräflichen Häuser auf das Jahr 1845, Gotha 1845, S. 605-609.

Glückselig, Legis, Denkwürdigkeiten des Grafenhauses Thun-Hohenstein. Festgabe zu dem achtzigsten Geburtstag seiner Excellenz des hochgeborenen Herrn Franz Grafen von Thun-Hohenstein, Prag 1866.

Langer, Edmund, Mittelalterliche Hausgeschichte der edlen Familie Thun, hrsg. von Rich, Richard, Heft 6, Wien 19

[1] Dies verkauften die Nachkommen des Bragherius von Coredo am 21. Juni 1321 an Simon von Thun (I1172). vgl. Carl Ausserer, Der Adel des Nonsberges. Mit 72 Abbildungen von Schlössern, Wappen und Siegeln, in: Jahrbuch der k.k. heraldischen Gesellschaft Adler (1899) 9, S. 13–241, hier S. 48.
[2] Mandellus, der Onkel und Vormund des letzten männlichen Nachkommens der Altaguarda namens Arnold, verkaufte verschiedene Güter an die von Thun, nicht aber die Burg oder den Besitz in Bresimo; vgl. ebd., S. 188-189.
[3] vgl. ebd., S. 54; S. 202-203.
[4] vgl. Edmund Langer, Mittelalterliche Hausgeschichte der edlen Familie Thun, hrsg. von Richard Rich, Heft 6, Wien 1909, S. 60-63.
[5] vgl. ebd., S. 102.
[6] vgl. ebd., S. 55-56.
[7] Zusätzlich kommt dieser Besitzzuwachs durch die Aufnahme des Königsberger Wappens in das Familienwappen der Thun zum Ausdruck.
[8] Der natürliche Sohn Simeons , Heinrich genannt Rospaz , gilt als der Begründer dieser illegitimen Linie. Jedoch wurde diese von den Thun aufgrund des unterschiedlichen Lebenswandels nicht anerkannt. Zudem blieb den „Thun-Philippin“ die Verwendung des Namens „Thun“ sowie des Familienwappens untersagt. Die Thun-Philippin erloschen am Ende des 18. Jahrhunderts. vgl. Legis, Glückselig, Denkwürdigkeiten des Grafenhauses Thun-Hohenstein. Festgabe zu dem achtzigsten Geburtstag seiner Excellenz des hochgeborenen Herrn Franz Grafen von Thun-Hohenstein, Prag 1866, S. 75-78; Ausserer, Adel, S. 50-51.
[10] aus zweiter Ehe
[11] Die Urkunde liegt im Archiv in Décín. Staatliches Gebietsarchiv Litomerice, Karton 182, Nachlass Philipp Thun.
[12] er starb am 19. Juli 1596 auf Castelfondo
[13] vgl. Ausserer, Adel, S. 57-56.

Gräfin von Lamberg Leopoldine (1825-1902)

Sachschriftstellerin

Gräfin Leopoldine Karoline Ernestine von Thun-Hohenstein, geb. Lamberg (*9. April 1825 in Brünn, † 10. April 1902 in Prag; begraben in der Johannes-Kapellen-Gruft in Tetschen, katholisch) war eine Sachschriftstellerin.

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Familie

Gräfin Leopoldine wurde am 9. April 1825 in Brünn als zweites Kind des Grafen Eduard von Lamberg und der Gräfin Karoline, geb. von Sternberg , geboren. Ihr ein Jahr älterer Bruder Ernst, zu dem sie ein inniges Verhältnis aufbaute, starb im Alter von 26 Jahren. Leopoldine heiratete am 15. September 1845 den Bruder von Graf Leo und Graf Franz Anton von Thun-Hohenstein , Graf Friedrich Franz Josef von Thun-Hohenstein , Sohn des Grafen Franz de Paula Anton und der Gräfin Theresia Maria, geb. Brühl . Aus der Ehe entsprangen elf Kinder: Gräfin Therese , Graf Franz de Paula [14], Gräfin Karoline , Gräfin Marie , Gräfin Ernestine , Gräfin Wilhelmine , Gräfin Leopoldine (I83), Graf Eduard , Graf Friedrich , Graf Jaroslav und Gräfin Josefine .

 

Leben

Jugend und Ausbildung

Gräfin Leopoldine verbrachte ihre Kindheit bis 1838 in Kwassitz. Schon im Jahr ihrer Geburt traf die Familie von Lamberg ein schwerer Schicksalsschlag. Der Vater von Leopoldine und Ernst, Eduard von Lamberg, ertrank am 30. November 1825 bei einem Jagdausflug bei Wessely (Mähren).[15]

Die Erziehungsaufgabe von ihren Kindern wurde von Mutter Karoline an den Deutschböhmen Johann Nagel, der auch die Erziehung der Söhne des preußischen Gesandten Fürst Franz Ludwig von Hatzfeld, Majoratsherrn zu Trachenberg (1756-1827) [16] oder der Neffen des russischen Botschafters Graf Dimitri Tatischeff (?-1845) [17] übernommen hatte, übertragen. So erhielten die Kinder ab dem sechsten bzw. siebten Lebensjahr täglich bereits fünf bis sechs Lernstunden in denen ihnen die wichtigsten Kenntnisse und Inhalte der schulischen Grundausbildung [18] vermittelt wurden. Eine erste Studienreise erfolgte Anfang der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts: Leopoldine und ihr Bruder Ernst reisten im Beisein ihres Lehrers und Erziehers Johann Nagel und ihrer Gouvernante Annette Nagel [19] nach Krakau, wo sie, ausgestattet mit einem Geldbetrag zum „Verschwenden“, alle Sehenswürdigkeiten der Stadt einschließlich Universität, Kirchen und Dom mit Gruft besichtigten. [20]

Schon während ihrer Kindheit entdeckte Gräfin Leopoldine ihre Liebe zu Poesie und Kunst. Sie verfasste Gedichte und begann zu malen. [21] Zudem hielt sie ihre Reiseeindrücke in ihrem „Journal“ fest.

Im Herbst 1839 reiste die Familie Lamberg nach Prag, wo sie die ehemalige Auersperg’sche Wohnung bezog. In Prag wurden neue Lehrende aufgenommen, Beziehungen zu Freunden geknüpft und der Plan einer deutsch-holländischen Studienreise [22] von Prag, Karlsbad und Eger über Frankfurt und Mainz nach Rotterdam gefasst.

Im Jahr 1841 wurde Leopoldine erstmals von ihrem Bruder getrennt, der für einige Monate nach Paris ging, wo er sich mit der französischen Sprache vertraut machen und sein künstlerisches Talent gefördert und ausgebildet werden sollte. Die junge Gräfin reiste stattdessen im März 1841 mit ihrer Mutter nach Italien und bestieg erstmals die Eisenbahn, da Mitte des 19. Jahrhunderts das Schienenverkehrsystem gut ausgebaut war. [23]

Im Alter von 17 Jahren lernte Gräfin Leopoldine von Lamberg bei einem Faschingsball auf der Sofien-Insel Graf Friedrich Franz Josef von Thun-Hohenstein kennen; beim nachfolgenden Damenball trafen die beiden erneut aufeinander. Ab diesem Zeitpunkt folgte ein häufiges Wiedersehen. Eine Heirat Leopoldines mit Friedrich Franz Josef von Thun-Hohenstein war jedoch aufgrund seiner Stellung als zweiter Sohn des Grafen Franz de Paula Anton und der Gräfin Theresia Maria, geb. Brühl, und als Diplomat "en sous-ordre" (noch) nicht möglich. [24]

Erst zwei Jahre später, im Jahr 1845 sollte der Bund fürs Leben geschlossen werden. Am 7. April verlobten sich die beiden. Die Vermählungszeremonie fand am 15. September 1845 in der Franziskanerkirche in Prag statt. Im Juli 1846 übersiedelten die hochschwangere Leopoldine und ihr Gemahl nach Bubentsch, wo sie eine Villa bewohnten. Am 14. Juli 1846 wurde ihre gemeinsame Tochter Therese von Thun-Hohenstein, ein Jahr später, am 2. September 1847, ihr gemeinsamer Sohn Franz von Thun-Hohenstein geboren. [25]

Die erste Zeit verbrachte die junge, glückliche Familie in Tetschen, wo sie ein ruhiges Leben führte. Als im Winter 1848 ihr Gemahl von Fürst Klemens Wenzel von Metternich (1773-1859) den Gesandtschaftsposten in Stockholm [26] übertragen bekam, übersiedelte die Familie nach Wien, wo Leopoldine auf Selina Clam-Martinic [27], Kaiserin Marianne [28] und die Fürstin Metternich [29] traf. Während dieser Zeit wurde Emma Czernak in das Haus Thun-Hohenstein-Lamberg bestellt, die sich der Pflege der Kinder annahm, der Gräfin unterstützend zur Seite stand und fast 50 Jahre im Dienst stand. [30]

Das junge Paar durchlebte eine von schweren Unruhen geprägte Zeit, die die junge Gräfin mit ihren Kindern meist von ihrem Mann [31] getrennt verbrachte. Nur selten konnten sich beide für kurze Zeit wiedersehen und über Geschehenes und Erlebtes berichten. Als am 23. September 1848 das gemeinsame Töchterchen Karoline zur Welt kam, war mit der Geburt auch ein Wermutstropfen verbunden: „Fritz“ [32] musste einen Tag zuvor wieder nach Stockholm aufbrechen und konnte die Geburt nicht miterleben. [33] Die von ihrem Mann getrennten „Schreckensmomente des Jahres 1848“ [34] verbrachte Leopoldine mit ihren Kindern bei ihrem Schwiegervater und den Schwägerinnen in Tetschen. [35] Im Jahr 1849 verlobte [36] sich Leopoldines Mutter mit Carl August Leopold Bigot von St. Quentin [37], der seit 1831 als unentbehrlicher Teil der Familie galt. Im folgenden Jahr wurde am 6. August das Töchterchen Marie in Frankfurt [38] geboren.

Als dem Grafen Thun-Hohenstein wenig später ein Posten in Berlin angeboten wurde, übersiedelte die ganze Familie erneut, hielt sich dort bis zum Jahr 1854 auf und brachte anschließend einige Jahre in Italien zu. Während der Zeit in Berlin konnte sich nicht nur Leopoldines Gemahl beruflich etablieren, auch die Gräfin selbst traf immer wieder auf interessante Persönlichkeiten. Zudem wurde das fünfte Kind, Ernestine von Thun-Hohenstein, die ihren Namen ihrem verstorbenen Onkel und Bruder Leopoldines, Graf Ernst von Lamberg, verdankte, am 12. März 1853 geboren. [39]

Die (Frankreich-)Reise mit ihrem Gatten Ende Juli 1854 [40] beeindruckte und prägte Gräfin Leopoldine ganz besonders. Fasziniert von der Vielfalt der französischen Städte, insbesondere Paris mit ihren Sehenswürdigkeiten, und der französischen Kultur kehrten die Gräfin und der Graf mit neuen Eindrücken von ihrem Aufenthalt, der einige Wochen dauerte, wieder nach Tetschen zu ihren Kindern zurück. [41] Im März 1855 trat Fritz seinen neuen Posten in Italien an und folgte am 16. September 1855 dem Feldmarschall Josef Wenzel Radetzky (1766-1858) [42] nach Verona während Leopoldine mit den Kindern etwas[break] später im Oktober nachreiste und sich dort bis 1857 aufhielt. [43] Am 25. Dezember 1855 wurde Gräfin Wilhelmine in Verona geboren. [44]

Während ihrer Zeit in Verona konnte Gräfin Leopoldine wichtige Persönlichkeiten empfangen, darunter Nikolaus von Weis (1796-1869) oder den amerikanischen Schriftsteller George Ticknor (1791-1871). Im Mai 1857 verließ die Familie Verona und kehrte in die „Heimat“ [45] zurück.

Zwei Monate später unternahmen ihr Gemahl Graf Friedrich Franz Josef von Thun-Hohenstein, dessen Schwester Gräfin Juža ( ), deren Vater Graf Franz Anton ( ) und Gräfin Leopoldine eine Reise nach England [46], von der sie erst im September wieder heimkehrten. Überwältigt und fasziniert von ihrem Dasein als Touristin bestaunte und erkundete Leopoldine von Thun-Hohenstein London, stattete dem Bruder von James Hope und Maler, Francis Grant (1803-1878) einen Besuch ab und machte einen Ausflug nach Windsor Castle. [47] Im Oktober 1858 beschloss die Familie, die Wintermonate an den verschiedensten Orten Italiens zuzubringen. [48]

Als Johann Bernhard von Rechberg (1806-1899) [49] 1859 in das Ministerium eintrat, nahm Graf Friedrich Franz Josef von Thun-Hohenstein die Chance auf eine erneute diplomatische Karriere wahr. [50] Alsbald wurde ihm ein Posten in St. Petersburg angeboten, den er nach Absprache mit Gräfin Leopoldine annahm und Anfang Dezember [51] antrat. Eine Woche später, am 14. Dezember 1859, starb das Töchterchen Therese. Leopoldine erhielt in dieser schweren Zeit Beistand von ihrer Mutter, ihrem Schwiegervater und ihrer Schwägerin Juža. Fritz konnte erst im Mai 1860 wieder nach Tetschen zurückkehren, jenem Zeitpunkt, an dem Leopoldine ihr Söhnchen Eduard [52] erwartete. Im Juli brach die gesamte Familie schlussendlich zu ihrem neuen Domizil nach St. Petersburg auf, wo sie für zwei Jahre lebte und wiederum auf zahlreiche angesehene Leute, unter ihnen Großfürstin Katharine (1827-1894) [53], Herzog Georg von Mecklenburg (1779-1860) [54], Kanzler Nesselrode (1780-1862) [55], traf. [56]

Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Moskau sowie in Oranienbaum kehrte die Familie Thun-Hohenstein am 24. September 1861 nach St. Petersburg zurück, wo wenige Tag später das Söhnchen Friedrich [57] geboren wurde. Zum neuen Jahr 1862 luden die Thun-Hohenstein am 28. Jänner zu ihrem ersten Ball mit über 300 geladenen Gästen, unter ihnen Großfürstin Maria von Leuchtenberg (1841-1914) [58] mit ihren Kindern. Verschiedene Soiréen, Konzerte und Diners folgten. [59] Nach Ostern, am 3. Mai trat Leopoldine mit ihren Kindern (ohne Fritz [60]) die schon längst herbeigesehnte Heimreise nach Tetschen an. [61] Auf Anraten ihrer Mutter Caroline kaufte die Gräfin bereits im Frühjahr 1862 die Herrschaft Morkowitz in der Nähe von Kwassitz und Zdaunek, woraufhin die Familie abwechselnd die Sommer- und Herbstmonate zwischen Kwassitz und Tetschen verbrachte. [62]

Im Herbst 1863 erkrankten die jüngeren Kinder an Scharlach, um eine Ansteckung zu vermeiden, übersiedelten die älteren und jüngsten nach Wien, besuchten die Patienten jedoch öfters. Als der zweieinhalbjährige Friedrich schwer erkrankte, eilte Leopoldine, die sich gerade in Tetschen aufhielt, wieder zurück nach Wien. Allerdings kam Leopoldine zu spät, denn ihr Sohn Friedrich erlag am 24. Dezember 1863 seiner Diphterieerkrankung. [63]

Nach einer Zeit voll Trauer und Schmerz in Wien kehrte die Familie im Frühjahr 1864 nach Tetschen zurück, wo am 23. Mai 1864 der Sohn Jaroslav, am 23. Juni 1867 das Töchterchen Josefine, genannt Juža, geboren wurden. [64] Über 10 Jahre brachte die Familie die Sommermonate zwischen Tetschen und Kwassitz zu, in den Wintermonaten blieben sie in Wien, ehe beschlossen wurde, ihre Winterresidenz von Wien nach Prag zu verlegen. [65]

Das Jahr 1881 barg für die Gräfin zwei schlimme Schicksalsschläge: am 24 September 1881 starb ihr Gatte Friedrich Franz Josef. Für Leopoldine, die 36 Jahre überglücklich an dessen Seite lebte, ein leidvoller Tag und tiefer Einschnitt in ihrem Leben. Als Leopoldines Mutter wenige Monate später erkrankte, eilte ihre Tochter nach Wien, um sich ihrer Pflege anzunehmen. Allerdings verschlimmerte sich der Zustand ihrer Mutter Caroline zusehends, sodass sie am 31. Dezember 1881 verstarb. Mit dem Tod des Sohnes Eduard am 7. Mai 1885 in Peruc musste Gräfin Leopoldine Thun-Hohenstein einen weiteren schmerzlichen Verlust hinnehmen.

Gräfin Leopoldine verbrachte die letzten Jahre zurückgezogen im Kreis ihrer Familie, reiste mit einigen ihrer Kinder durch die Welt und schrieb im Jahr 1890 ihre Lebenserinnerungen [66] nieder.

Als sie anzunehmenden Augen- und Kopfschmerzen litt, musste sie das Lesen und Schreiben einschränken und war auf die Hilfe anderer, hauptsächlich ihrer Kinder, angewiesen. Gräfin Leopoldine von Thun-Hohenstein starb am 10. April 1902 in Prag.

 

Mitgliedschaften, Auszeichnungen und Ehrungen

Gräfin Leopoldine von Thun-Hohenstein war Mitglied beim Sternkreuzorden und Ehrendame des bayrischen Theresienordens.

 

Rezeption

Häufige Ortswechsel, lang andauernde und zahlreiche Trennungen von ihrem Gemahl, faszinierende Reisen und Erlebnisse und auch schmerzliche Verluste kennzeichnen das Leben von Gräfin Leopoldine von Thun-Hohenstein. Der Familienmensch wurde nicht nur der Mutterrolle gerecht, sondern war auch eine ausgezeichnete Ehegattin, die die verschiedensten Strapazen auf sich nahm, um ihrem Mann, der seinen beruflichen Verpflichtungen in Deutschland, Italien und Russland nachging, nahe sein zu können. Gräfin Leopoldine von Thun-Hohenstein war ein herzensguter und strenggläubiger Mensch, der es verstand, in jeder Situation „Familie“ zu schaffen und sich im Denken und Wandeln vom katholischen Glauben leiten zu lassen. Ihre „Erinnerungen aus meinem Leben“ schildern in eindrucksvoller Weise nicht nur ihren familiären Alltag, sondern enthalten darüber hinaus wertvolle Informationen zur politischen Geschichte Österreichs. [DL]

 

Bibliographie

Werkverzeichnis

  • Erinnerungen aus meinem Leben, hrsg. von Thun-Hohenstein, Jaroslav von, Innsbruck-Wien-München 31926

 

Ausgewählte Literatur

  • Wurzbach, Constant von, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 14, Wien 1845
  • Porträtnachweis Slavíčková, Hana, Portrétní galerie Thun-Hohensteinů, Ausst.-Kat., Děčín 1998.

 

Galerie

[1] Graf Franz (de Paula) wurde am 19. Juli 1911 von Kaiser Franz Joseph I. in den Fürstenstand erhoben und galt als erster Fürst der Familie Thun-Hohenstein.
[2] Sein Leichnam wurde jedoch nie gefunden. vgl. Thun-Hohenstein, Leopoldine von, Erinnerungen aus meinem Leben, Innsbruck-Wien-München 1926, S. 1.
[3] Fürst Franz Ludwig von Hatzfeldt (1756-1827) war ein preußischer Gesandter.
[4] Graf Dimitri Tatischeff (?-1845) war ein russischer Gesandter.
[5] Mit Ausnahme von Latein.
[6] Gemahlin von ihrem Erzieher und Lehrer Johann Nagel.
[7] vgl. ebd., S. 6-7.
[8] Neben verschiedenen Porträts in farbiger Kreide und Öl zeichnete die junge Gräfin das Marienbild in der Kapelle am Fuß des Neuhof zu Kwassitz. vgl. ebd., S. 8.
[9] Ihr Erzieher Johann Nagel bereitete die beiden Geschwister auf diese Reise in Form von geschichtlichen und kunstgeschichtlichen Erzählungen vor und sollte zudem als ihr Begleiter fungieren. vgl. ebd., S. 8-10.
[10] Das Erlebte und die Eindrücke ihrer Italienreise hielt Gräfin Leopoldine in ihrem „Journal“ fest. Dieses befindet sich im Archiv in Tetschen, Nachlass Leopoldine von Thun-Hohenstein, geb. Lamberg.
[11] vgl. Thun-Hohenstein, Erinnerungen, S. 16-17.
[12] vgl. ebd., S. 20.
[13] Ehe Graf Friedrich Franz-Josef nach Stockholm ging, wurde er zuvor von Graf Ficquelmont (1777-1857) in geheimer Mission nach St. Petersburg beordert.
[14] Selina Clam-Martinic (1797-1872) war eine entfernte Verwandte Leopoldines und Gemahlin des Grafen Karl von Clam-Martinic (1742-1840).
[15] Gemeint ist hier wohl Kaiserin Maria Anna von Savoyen (1803-1884). Sie war die Gemahlin des damals regierenden Kaisers Ferdinand I. (1793-1875).
[16] Gräfin Melanie Zichy-Ferraris (1805-1854), Tochter des Feldmarschalls Graf Franz Zichy-Ferraris, war die dritte Gemahlin des Fürsten Metternich.
[17] vgl. Thun-Hohenstein, Erinnerungen, S. 21-22.
[18] Aufgrund dessen diplomatischer Stellung und Position.
[19] So wurde Graf Friedrich Franz Josef von Thun-Hohenstein von seiner Gemahlin genannt.
[20] Der Vater sah seine Tochter das erste Mal, als diese bereits 10 Monate alt war. vgl. ebd., S. 30.
[21] Der Slavenkongress und die ausgebrochene Revolution in Prag, die Geiselnahme ihres Schwagers Leo von Thun-Hohenstein oder die Ermordung der Fürstin Windischgrätz, vgl. ebd., S. 25-26.
[22] vgl. ebd., S. 26.
[23] Die Hochzeit der beiden verzögerte sich jedoch und sollte erst am 13. Oktober 1851 in Mauer bei Wien stattfinden, da ein trauriges Ereignis alle Freude überschattete. Leopoldines Bruder Ernst starb im Alter von 26 Jahren an einer Typhuserkrankung. Gemeinsam mit ihrer Mutter reiste sie nach Mähren, wo sie sich den Winter über aufhielt. Die Kinder und ihr Gemahl Friedrich Franz Josef blieben in Tetschen zurück. vgl. ebd., S. 41.
[24] Graf Carl August Leopold Bigot von St. Quentin (1805-1884) war österreichischer Generalmajor, Feldmarschallleutnant und Regimentskommandant beim böhmischen Dragoner-Regiment „Eugen Prinz von Savoyen“ Nr. 13.
[25] Fürst Schwarzenberg berief Graf Friedrich von Thun-Hohenstein bereits im April 1850 als Präsidialgesandten, um am im September stattfindenden Bundestag in Frankfurt teilzunehmen. Der Graf reiste unverzüglich ab, seine Gemahlin folgte ihm im Mai 1850 mit den gemeinsamen Kindern nach. vgl. Thun-Hohenstein, Erinnerungen., S. 36-37.
[26] vgl. ebd., S. 72.
[27] Die Kinder blieben währenddessen in Tetschen bei der Großfamilie zurück. vgl. ebd., S. 83.
[28] Graf Friedrich von Thun-Hohenstein machte nur einen kurzen Zwischenstopp, denn besorgt um seine dienstrechtliche Stellung eilte er nach Wien, um endlich Klarheit darüber zu erhalten. Allerdings kehrte er enttäuscht und ohne genauere Informationen über seine zukünftige berufliche Verwendung nach Tetschen zu seiner Familie zurück. vgl. ebd., S 86.
[29] Feldmarschall Josef Wenzel Radetzky (1766-1858) war der bedeutendste Heerführer Österreichs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
[30] vgl. ebd., S. 94.
[31] Der Vater des Kindes konnte jedoch abermals aufgrund seiner beruflichen Verpflichtungen in Wien nicht bei der Geburt anwesend sein, was die Gräfin sehr schmerzte. vgl. ebd., S. 96.
[32] „Heimat“ verbindet Gräfin Leopoldine von Thun-Hohenstein mit der Stadt Tetschen., vgl. ebd., S. 114.
[33] Sie wollten vor dem Beginn der empfohlenen Seebadkur für die Gräfin auch das Land entdecken können.
[34] vgl. Thun-Hohenstein, Erinnerungen, S. 123-125.
[35] Im Zuge dieser „Reise“ fertigte Leopoldine ihr „Journal“ an. Dieses findet sich in ihrem Nachlass im Gebietsarchiv Litomerice, Tetschen/Bodenbach, Nachlass Leopoldine Lamberg.
[36] Johann Bernhard von Rechberg (1806-1899) war ein österreichischer Diplomat und Außenminister.
[37] Er wurde von Graf Esterhazy in Berlin abgelöst und war für die Dauer des Buol’schen Ministeriums gezwungen, der Politik den Rücken zuzukehren. vgl., Thun-Hohenstein, Erinnerungen, S. 81.
[38] Er versuchte sein Aufbrechen hinauszuschieben, da innerhalb der Familie eine schwere Krankheitswelle ausbrach. Sowohl Töchterchen Karolina als auch Therese litten an einer Typhuserkrankung. vgl. ebd., S. 134-135.
[39] Graf Eduard von Thun-Hohenstein wurde am 14. Mai 1860 in Tetschen geboren.
[40] Großfürstin Katharina Michailowna (1827-1894) war die Tochter des Großfürsten Michael Pawlowitsch Romanow (1798-1849) und Gemahlin von Herzog Georg von Mecklenburg (1779-1862).
[41] Herzog Georg von Mecklenburg (1779-1860) war Großherzog von Mecklenburg.
[42] Karl Robert von Nesselrode (1780-1862) war ein russischer Diplomat.
[43] vgl. Thun-Hohenstein, Erinnerungen, S. 136-138.
[44] Graf Friedrich wurde am 8. Oktober 1861 geboren.
[45] Maria Maximilianovna von Leuchtenberg (1841-1914) war die Tochter des russischen Großfürsten Maximilian de Beaharnais (1817-1852).
[46] vgl. Thun-Hohenstein, Erinnerungen, S. 154-155.
[47] Graf Friedrich Franz Josef wurde von wichtigen politischen Geschäften in St. Petersburg festgehalten und er konnte erst in der zweiten Hälfte des Sommers nachkommen. vgl. ebd., S. 156.
[48] vgl. ebd., S. 156.
[49] vgl. ebd., S. 162.
[50] vgl. ebd., S. 163.
[51] vgl. ebd., S. 163 bzw. S 174.
[52] vgl. ebd., S. 162-179.
[53] Erinnerungen aus meinem Leben“ wurde bereits 1902 in wenigen Exemplaren als Privatdruck erneut aufgelegt. Das Manuskript befindet sich im Gebietsarchiv Litomerice, Tetschen/Bodenbach, Nachlass Leopoldine von Thun-Hohenstein.